Lieber Kohei Saito,
mit viel Begeisterung habe ich ihr Buch gelesen. Die ganz neue Sichtweise auf den Marxismus ist für mich sehr aufschlussreich und spannend.
Mit ihrer Beschreibung der Gefahr des Klimawandels kann ich mich vollkommen identifizieren denn seit 2019 gehöre ich der Klimabewegung an, im Moment bin ich bei Extinction Rebellion Berlin aktiv. Ich stimme mit allem überein, was ich in Ihrem Buch gelesen habe. Die Sichtweise, dass die Beseitigung der Klimaschäden ebenfalls das Bruttoinlandsprodukt erhöht, macht mit ebenfalls große Sorgen.
Ich denke, es ist ein großer Fehler, dass sich die Aktivisti der Z-Generation nicht mit den Grundlagen unseres Wirtschaftssystems auseinandersetzen. Ich versuche, die Zusammenhänge zu erläutern, aber sie sind der festen Überzeugung, dass Proteste allein die Welt verändern können. Jedoch was sollen die Regierungen machen? Die einzige ihnen bekannte Alternative ist der Sozialismus und die kommt nicht in Frage.
Sie, lieber Kohei Saito sagen selbst, es gibt eine dritte Alternative. Es geht nicht deutlich aus ihrem Buch hervor aber könnte diese Alternative nicht zu dieser Frage führen, die allen Menschen auf der Welt gestellt werden muss: „Wärst du bereit, freiwillig zu arbeiten, wenn du alles, was du für ein zufriedenes und glückliches Leben brauchst, geschenkt bekommst?“
Wenn wir von Commons reden, denken wir oft an Landfläche oder Software. Wir müssen diesen Begriff auch auf alle Rohstoffe und Energiequellen erweitern, die wir von der Erde geschenkt bekommen. Es wäre dann aber immer noch kein geschlossener Kreislauf, wenn wir den Menschen mit seiner Arbeit nicht einbeziehen.
Wenn der Mensch seine Arbeit freiwillig gibt, so wie die Weide das Gras abgibt, dann gehört er ebenfalls zum Bereich der Commons. Dann erst ist der Kreislauf geschlossen und es passiert folgendes: Die heutigen Besitzer der Grundstücke, auf denen die Ressourcen gefördert werden, würden ihren Besitz freiwillig aufgeben, weil sie ihn nicht mehr benötigen. Heute benutzen sie ihren Besitz hauptsächlich dazu, um Profit zu machen. Um es in einfachen Worten zu sagen, sie benutzen ihn, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
Rund 40 Prozent aller Arbeit weltweit ist freiwillig. Stellt euch vor, wir könnten auch den Rest, also alle Menschen auf der Welt dazu motivieren, ab einem bestimmten Stichtag an freiwillig zu arbeiten. Dann könnten alle Waren, die die Menschen benötigen, von diesem Stichtag an kostenlos abgegeben werden.
Das wäre möglich, weil die Besitzer der Grundstücke und Produktionsanlagen ab diesem Zeitpunkt alles, was sie vor dem Stichtag von ihrem Profit gekauft haben, umsonst bekommen und deshalb keinen Profit mehr brauchen. Sie könnten deshalb von diesem Stichtag an alle Ressourcen als Commons zur Verfügung stellen. Damit wäre der Kreis geschlossen und die Ressourcenbasierte Wirtschaft ist Realität.
Dass dann alle Produkte frei verfügbar sind, ist auch die Voraussetzung dafür, dass es keine Knappheit gibt. Das Gefühl, sich eigentlich nehmen zu können, so viel man möchte (was die Menschen in dieser künftigen Gesellschaft natürlich nicht machen) ist ein Gefühl des grenzenlosen Überflusses.
Es passiert dann auch noch etwas ganz besonderes. Weil die Unternehmer keinen Profit mehr erzielen können, verlieren sie allmählich das Interesse an ihrem Eigentum, denn sie haben trotzdem weiterhin die Verantwortung dafür. Wenn ihr Interesse ganz erloschen ist, dann wird alles wieder zu Allmende.
Das Geniale an diesen Überlegungen ist, dass der Übergang jederzeit erfolgen kann, sobald alle Menschen bereit sind, freiwillig zu arbeiten. Das könnte noch in diesem Jahr passieren. Vor allem muss dazu nicht in das kapitalistische System eingegriffen werden, es passiert quasi von außen.
Hier gibt es weitere Hintergrundinformationen.
Herzliche Grüße
Eberhard Licht