Zur Abschlussrede von Ferat Koçak beim XR-Camp in Berlin

English version

Lieber Ferat,

Heute, beim Abschluss der Frühlings-Rebellion im Camp habe ich deine Rede gehört.

Doch, es gäbe eine kurzfristige Lösung für die globalen Probleme. Radikal aber machbar. Etwas ähnliches wie eine Revolution aber ganz anders. Und friedlich, ohne Enteignungen (die passieren dann von ganz alleine).

Das Problem ist der Markt, da sind wir uns einig. Markt ist Ware und Geld. Man kann es drehen und wenden wie man will, wenn man den Markt abschaffen möchte, dann muss man eines davon verschwinden lassen. Aber wenn man sagt, das Geld muss weg, dann wird man sofort für verrückt erklärt. Beim Camp dieses Wochenende haben wir jedoch feststellen können, dass es ganz prima geht ohne Geld.

Stell dir vor, alles wäre mit Geld geregelt worden, wie es in unserer Gesellschaft der Fall ist. Die vielen Helfer wären bezahlt worden und vor allem, stell dir vor, die Essensportionen wären nach Gewicht verkauft worden. Undenkbar für eine solch solidarische und kooperative Atmosphäre. Also müssen wir nur eine entsprechende Umgebung schaffen, in der jeder Beteiligte freiwillig tätig sein kann. So schwer ist das gar nicht, denn auch in der heutigen Gesellschaft erfolgen mindestens 40 Prozent der Tätigkeiten freiwillig, hauptsächlich Care-Arbeit. Die gesamte Zivilgesellschaft funktioniert auf freiwilliger Basis.

Das ist natürlich nicht meine Erfindung. Jason Hickel, Anitra Nelson und Friederike Habermann sagen klipp und klar, dass der Markt in einer Postwachstumsökonomie keinen Platz hat. Leider haben wir für eine allmähliche Transformation keine Zeit mehr und die Regierungen können unsere Forderungen nicht erfüllen, weil sie keinen Ausweg wissen. Etwas anderes als Ökonomie und „die unsichtbare Hand des Marktes“ haben sie nicht gelernt. Nur ein Lösungsvorschlag unsererseits kann helfen.

Was sind nun die Hintergedanken? Es gibt Bestrebungen, die Schulden des globalen Südens zu erlassen. Obwohl man es kaum vermutet, stecken G7 und der IWF dahinter. Ein Schuldenerlass würde die Kaufkraft der Bürger enorm steigern. Dadurch wird ermöglicht, dass man durch den Export des „Wohlstandes“ in den globalen Süden dort das Wachstum generiert, was im Norden immer schwieriger wird. Damit bahnt sich eine wirkliche Katastrophe an, die niemand mehr unter Kontrolle hat.

Der Trick wäre, dass man die Menschen motiviert, zu fordern, dass weltweit generell ALLE Schulden gestrichen werden. Das wäre ein finanzieller Anreiz, dem wohl fast alle Menschen und somit auch die demokratische Mehrheit zustimmen würde. Schließlich trägt jede vierköpfige Familie in Deutschland mehr als 120.000 Euro Staatsschulden, hinzu kommen Kredite für Haus, Auto und Konsumgüter.

Um diese Information zu verbreiten, müsste man nur alle Initiativen weltweit aktivieren, die sich neben Klimaschutz auch gegen Ungleichheit einsetzen.

Aber wäre das nicht ungerecht gegenüber den Gläubigern? Und wäre es nicht auch schier unmöglich, alle Schuldverhältnisse zu entflechten?

Aber warum schafft man dann nicht einfach gleichzeitig alles Geld ab? Dann bekäme man alles umsonst. Auch der Gläubiger bekäme alles umsonst, genauso wie der Milliardär oder der Obdachlose. Also, es gäbe überhaupt keine Benachteiligung. Für Niemanden. Und die wichtigsten Menschenrechte, Recht auf Obdach, Nahrung und medizinische Versorgung wären automatisch sofort gewährleistet.

Wir hätten dann weltweit die Bedingungen, unter denen das Camp am Wochenende so gut funktioniert hat. Ganz ohne Geld.

Man muss nur das Risiko vergleichen. Was wird passieren, wenn wir Wachstum und Markt nicht stoppen?

Wir könnten das Geld zu jeder Zeit abschaffen. Zu jedem Zeitpunkt ist innerhalb der Wirtschaft die Versorgung der Menschen mit dem täglichen Bedarf durch Lieferverträge abgesichert. Auch heute ist  die Versorgung theoretisch ohne Geldfluss gewährleistet, weil die  Rechnungen meist erst nach einem Monat fällig sind. Bis der Gerichtsvollzieher kommt, dauert es mindestens ein halbes Jahr.

Die Menschen gehen nun ihrer täglichen Arbeit nach und bekommen dafür abends in den Geschäften alles kostenlos, weil ja niemand für die Herstellung und Lieferung bezahlt werden muss. Die Rohstoffe und die Energie bekommen wir von der Erde und der Sonne gratis. Und aus Dankbarkeit für die erhaltenen Geschenke gehen die Menschen am nächsten Tag wieder auf Arbeit.

Das bedeutet, dass bereits nach wenigen Tagen jeder Lieferant festgestellt hat, dass die Begleichung seiner Rechnung hinfällig ist, weil er keine Kosten mehr hat, weil er alles was er zum Leben braucht und alle Rohstoffe und Energie gratis sind.

Schlagartig hört die Werbung auf, weil niemand Interesse daran hat, mehr „zu verschenken“ als nötig. Der Verbrauch geht dadurch sofort zurück, weil sich dann die Menschen wirklich nur das nehmen, was sie brauchen um glücklich leben zu können und nicht mehr das, was ihnen die Wirtschaft vorschreibt, um zu wachsen. Hierzu verweise ich auf den Vergleich Bruttonationalprodukt und Bruttonationalglück. Jeder von euch sollte jetzt darüber nachdenken, was du dir nehmen würdest, um glücklich zu sein.

Aber würde denn dann die Wirtschaft weiter produzieren, wenn die Menschen nicht mit dem Entzug von Geld zur Arbeit gezwungen werden? Natürlich würden wir weiter arbeiten. Schließlich werden 40 Prozent der geleisteten Arbeit, hauptsächlich Care-Tätigkeiten, ohnehin nicht bezahlt aber trotzdem, meist mit viel Liebe ausgeführt. Die gesamte Zivilgesellschaft funktioniert ohne Bezahlung. Schließlich hat die Menschheit in über 99 Prozent ihrer Geschichte umsonst gearbeitet. Und das sehr erfolgreich.

Wenn das Geld verschwindet, verschwinden auch alle Jobs in der Finanz- und Versicherungsbranche sowie alle „Bullshit-Jobs“ und wir könnten uns die Arbeit teilen. Da wir viel weniger konsumieren, müssten wir wahrscheinlich nur noch maximal zwei oder drei Tage pro Woche arbeiten. Wer sollte da nicht mitmachen wollen?

Vor allem besteht dann die Möglichkeit, etwas zu arbeiten, was Spaß macht. Schwere, gefährliche und eintönige Arbeit wird dann von den Robotern erledigt werden, die heute mit viel Einfallsreichtum für die Montage von Autos ersonnen werden.

Und nebenbei verringert sich der ökologische Fußabdruck wieder auf eine Erde. Vor allem deshalb, weil es keine ökonomische Notwendigkeit mehr dafür gibt, etwas neu herzustellen, weil das billiger ist als vollständiges Recycling.

Heute wechseln wir täglich mehrmals zwischen Umgebungen, die uns dazu beeinflussen, uns kompetitiv zu verhalten (homo oeconomicus) und uns kooperativ zu verhalten (homo socialis nach Raworth 2018). Es passiert, wenn wir morgens unser Zuhause verlassen und wenn wir abends wieder zu unserer Familie heimkehren. Beide Seelen tragen wir in uns. Wir müssen nur die Umgebung überwinden, die uns zum homo oeconomicus werden lässt.

Wird es Mord und Totschlag geben?
Es gab zwei ganz wichtige Beobachtungen beim Verhalten der Menschheit beim ersten Lockdown. Eine weltweite Solidarität und Disziplin. Trotz großer Angst vor einem Zusammenbruch von Wirtschaft und Gesellschaft gab es weder Plünderungen noch nennenswerte Hamsterkäufe. Und wir haben gesehen, dass es möglich ist, innerhalb weniger Tage unnötige Wirtschaftszweige wie die Autoindustrie und den Transport auf unter 10% herunterzufahren, ohne dass dies größere Auswirkungen hatte.

Dies gibt uns die Gewissheit, dass wir auch die Abschaffung des Marktes und des Geldes bewältigen können.

Auf meiner Website https://LetUsBe.One/d/ gibt es weitere detaillierte Erläuterungen und eine Menge FAQ.

Viele Grüße

Eberhard

eberhard@LetUsBe.One