1. Einleitung: Die Welt am Scheideweg
Steht das Ende der Welt wieder einmal bevor?
Viele Menschen spüren, dass etwas grundlegend aus dem Gleichgewicht geraten ist. Die Herausforderungen unserer Zeit – soziale Ungleichheit, Umweltzerstörung, die zunehmende Spaltung der Gesellschaft – treten immer drängender hervor. Politische Debatten bleiben oft oberflächlich; tragfähige Lösungen scheinen zu fehlen. Während manche auf ein „Weiter so“ setzen, locken andere mit vermeintlichen Alternativen, die jedoch keine Antworten auf die tieferen Ursachen geben. Die Gesellschaft driftet auseinander, und die Suche nach wirklichen Lösungen bleibt erfolglos.Read More
Besonders bedrückend ist die Einsicht, dass Kriege und die Zerstörung der Schöpfung längst zu Triebkräften des globalen Wirtschaftens geworden sind. Das Leid der Menschen und die Verwundung der Erde werden in ein System eingespeist, das vom ständigen Wachstum lebt.
Vor 2000 Jahren war die Situation eine andere – und doch gleich: Die Sehnsucht der Menschen nach Frieden, Gerechtigkeit und einem Leben in Harmonie mit der Schöpfung bleibt unverändert.
Heute verfügen wir über Voraussetzungen, die es in der Geschichte noch nie gab. Wir leben in einer Zeit des Wissens, der technischen Möglichkeiten, der globalen Vernetzung und des Überflusses. Die Menschheit könnte bereits jetzt mehr als genug für alle bereitstellen. In dieser Situation wird es möglich, die Vision vom Reich Gottes – oder zumindest eine glaubwürdige Annäherung daran – konkret werden zu lassen.
Das Reich Gottes, wie es Jesus verkündet, gründet auf Nächstenliebe, Geschwisterlichkeit und der Verantwortung für die Schöpfung. Es lädt uns ein, Strukturen zu gestalten, in denen nicht Profit und Gier, sondern das Teilen und gegenseitige Sorgen die Grundlagen bilden. Ein „Heutiges Reich Gottes“ wäre eine Welt, in der Menschen ihr tägliches Brot nicht erkämpfen müssen, sondern es als Gabe empfangen – und zugleich ihre Arbeit frei und geschwisterlich den anderen schenken.
Die Heilige Schrift weist uns den Weg:
„Seht die Vögel des Himmels: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen. Und doch ernährt euer himmlischer Vater sie. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie?“ (Mt 6,26)
Diese Worte Jesu laden uns ein, Vertrauen zu haben: in eine Welt, in der wir uns gegenseitig versorgen, ohne Angst vor Mangel, ohne das Anhäufen von Schätzen.
In dieser Zeit der Krise ist die Kirche besonders gefordert. Sie ist moralische Instanz, Hüterin der Hoffnung und Verkünderin des Evangeliums. Doch wie kann sie in einer Welt, die von Gier und Profit geprägt ist, ihre Botschaft von Liebe und Geschwisterlichkeit glaubwürdig bezeugen?
Die Vision, die in dieser Broschüre entfaltet wird, ist radikal, aber notwendig: eine Wirtschaft jenseits der „Tyrannei des Geldes“, getragen vom Geist des Gebens und Empfangens, vom Vertrauen in Gottes Vorsehung.
Die Kirche steht damit vor einer historischen Entscheidung:
Wird sie den Mut haben, diese Vision zu bekräftigen, die Menschen zu ermutigen und den ersten Schritt in eine neue Epoche der Menschheitsgeschichte zu wagen?
2. Die Ursachen der globalen Probleme
Eigentlich müsste es das Selbstverständnis jeder Volkswirtschaft sein, die Menschen so zu versorgen, dass alle in Würde leben können. Eine wahrhaft menschliche Wirtschaft würde fragen:
„Was braucht ihr?“
– doch unsere Realität ruft:
„Kauft, kauft alles!“
Organisationen wie Oxfam weisen darauf hin, dass viele Konsumgüter schon nach der Hälfte ihrer möglichen Lebensdauer weggeworfen werden, um Neues zu kaufen. Geräte sind oft absichtlich so konstruiert, dass sie bald nach Ablauf der Garantie kaputtgehen und nicht mehr repariert werden können.Read More
Gleichzeitig fordern Politiker noch mehr Wachstum, mehr Arbeit, mehr Konsum. Doch das bedeutet letztlich: noch schneller produzieren, noch schneller wegwerfen.
Wie lässt sich das mit dem göttlichen Auftrag zur Bewahrung der Schöpfung vereinbaren?
Das heutige Wirtschaftssystem funktioniert so:
Die Produktion dessen, was Menschen zum Leben benötigen, ist mit Kosten verbunden – Neben Rohstoffen, Energie, und Maschinen sind es die Löhne, die etwas Besonderes darstellen. Die Löhne müssen hoch genug sein, damit die Menschen die erzeugten Waren auch wieder kaufen können.
Die Folge: Unternehmen müssen mehr produzieren, als gebraucht wird, um Löhne zu sichern und Gewinne zu erzielen. Würde weniger produziert werden, dann würden automatisch die Löhne sinken und das System würde zusammenbrechen.
So entsteht ein Zwang zum ständigen Wachstum – ein Kreislauf von Arbeit, Konsum und Verschwendung, der zu Überproduktion und Raubbau an Ressourcen führt.
Ein sichtbares Zeichen dafür ist der Earth Overshoot Day, der 2025 bereits am 25. Juli erreicht war: An diesem Tag waren die globalen Ressourcen verbraucht, die eigentlich für das gesamte Jahr hätten reichen müssen.
Heute leben viele Menschen immer bewusster. Second-Hand-Läden schießen aus dem Boden und mit Balkonkraftwerken versuchen wir, fossil erzeugten Strom zu sparen.
Aber trotzdem muss sich diese Spirale der „Tyrannei des Geldes“ weiterdrehen. Wenn weniger Konsumgüter nachgefragt werden, müssen deshalb Waffen produziert werden. Schnell ist ein Feindbild da und der Weg frei für hohe Rüstungsausgaben.
Zerstörungen durch Kriege und Klimawandel sind inzwischen ein fester Bestandteil des Wirtschaftswachstums geworden.
Vollkommen unbemerkt.
Auch wenn wir noch so viel für den Frieden beten, wir werden dieses Gesetz der Marktwirtschaft nicht außer Kraft setzen können.
Der normale gutverdienende Durchschnittsbürger merkt von alldem nichts. Im Gegenteil, er freut sich über die billigen T-Shirts, die neue Waschmaschine und über die Weintrauben im Winter. Es gibt für ihn keine Veranlassung, kritisch darüber nachzudenken.
Die Kirche hat besonders in den letzten Jahren immer wieder vor den Gefahren des Materialismus und der Gier gewarnt. Papst Franziskus schrieb in seiner Enzyklika „Laudato Si“ eindringlich über die Folgen eines ungehemmten Wirtschaftssystems, das die „Schreie der Erde und der Armen“ ignoriert.
Er rief uns dazu auf, die Schöpfung zu bewahren und eine gerechtere Wirtschaftsordnung zu schaffen. Doch wie könnten wir diese Spirale der „Tyrannei des Geldes“ durchbrechen?
3. Die Familie
Es gibt einen Bereich unseres Lebens, in dem die Gesetze des Marktes keine Macht haben: die Familie. Sie ist die Keimzelle der Gesellschaft, der Ort unentgeltlicher Sorge und der Ökologie menschlicher Beziehungen. Hier wird nicht mit Geld bezahlt, sondern mit dem, was keinen Preis hat: Würde, Vertrauen, Glaube und Liebe.
In der Familie erleben wir etwas Besonderes: Es gibt keine Überproduktion. Niemand würde seinem Kind nach dem Motto: „Nimm zwei zum Preis von einem!“ zwei Frühstückspakete mitgeben, wenn eines genügt.Read More
Dankbarkeit ersetzt hier das Geld. Freude am gemeinsamen Tun und gegenseitige Unterstützung tragen die Beziehungen. Achtung und Anerkennung gründen nicht auf Reichtum, sondern auf Vorbild, Hingabe und Weitergabe von Erfahrung.
Auch die Zivilgesellschaft lebt aus dieser Logik: Vereine, Ehrenamt, Nachbarschaftshilfe – überall wirkt der Geist der Gabe. Auf diesem Fundament von Familie und Gemeinschaft ruht letztlich auch das Funktionieren der gesamten Gesellschaft.
Könnte also die Familie nicht als Vorbild für die Wirtschaft dienen?
Auch im privaten Bereich wird gearbeitet: Es wird geputzt, eingekauft, gekocht, gepflegt, repariert, gelernt, angebaut. All dies geschieht ohne Lohn, getragen von Verantwortung und Liebe.
Wer im Berufsleben würde schon gerne mit dem Partner im Haushalt tauschen?
Der Unterschied zur Wirtschaft ist im Kern nur einer: Dort herrscht das Geld, hier die Dankbarkeit.
Ist eine Wirtschaft ohne Geld überhaupt möglich?
Wäre es nicht denkbar, auch die Wirtschaft nach dem Modell der Familie zu gestalten – als Raum des Gebens und Empfangens, des Maßhaltens und Teilens?
Nehmen wir als einfaches Beispiel eine Töpferin. Sie findet in der Natur einen Klumpen Ton und formt daraus eine Schüssel. Da der Ton Geschenk der Erde ist, kann sie die Schüssel verkaufen – oder sie verschenkt sie. Wenn wir uns vorstellen, dass alle Dinge so hergestellt und geteilt würden, würde die Wirtschaft vollkommen ohne Geld auskommen. Wir würden uns gegenseitig beschenken und unsere Arbeit füreinander einsetzen.
Denn alle Rohstoffe und alle Energie sind uns von Gott geschenkt. Die Sonne verlangt keinen Lohn für ihre Energie und ihr Licht, die Erde keine Bezahlung für ihre Früchte und Bodenschätze. Wenn wir uns gegenseitig, wie in der Familie, mit Dankbarkeit statt mit Geld vergüten würden, dann könnten wir uns alles nehmen, was wir wirklich zum Leben brauchen – und schenken einander unsere Arbeit zurück.
Alles so produzierte wäre dann kostenlos.
Eine solche Haltung verändert auch unser Bewusstsein. Geld macht blind für Herkunft und Mühe der Dinge – wir zahlen und die Sache ist erledigt. Machen wir uns heute viele Gedanken darüber, wo das billige T-Shirt oder die Weintrauben im Winter herkommen? Wir bezahlen mit unserem guten Geld und damit ist die Sache für uns erledigt.
Dank hingegen lädt zum Nachdenken ein:
Welche Mühe steckt in diesem Geschenk? Wie kann ich mich revanchieren?
In einer solchen Wirtschaft wären alle Menschen bedingungslos versorgt – jeder erhielte sein „tägliches Brot“, wie wir es im Vaterunser erbitten.
4. Die „zivile“ Wirtschaft
In einer Wirtschaft ohne finanziellen Zwang würde die Arbeit ihr Gesicht vollkommen verändern. Sie wäre nicht länger bloß Last oder Notwendigkeit, sondern Ausdruck von Kreativität, Dienst am Nächsten und Teilhabe am gemeinsamen Leben. Menschen würden nicht mehr arbeiten, um zu überleben, sondern um ihre Talente zu entfalten und ihre Fähigkeiten in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen.
Haben wir nicht allen Grund zu glauben, dass Gott die Talente so unter den Menschen verteilt hat, dass die Versorgung aller möglich ist? „Jedem wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt“ (1 Kor 12,7).Read More
Arbeit ist im biblischen Verständnis kein Fluch, sondern Segen. Sie verwandelt Rohes in Nützliches und macht uns zu Mitgestaltern der Schöpfung.
Zur Last wird sie erst, wenn sie vom Zwang des Geldes beherrscht wird. Das Schenken unserer Arbeit wäre deshalb keine Entbehrung, sondern eine Befreiung: eine Rückkehr zur ursprünglichen Würde der Arbeit.
Wenn Menschen nach den Gaben und Talenten arbeiten dürfen, die ihnen von Gott geschenkt sind, wird Arbeit zur Berufung. Sie erfüllt die Seele, das zu tun, wozu man berufen ist – und zugleich zum Wohl der Gemeinschaft beizutragen. Arbeit, die aus dem Herzen kommt, wird Quelle von Kreativität, Freude und Dankbarkeit gegenüber dem Schöpfer.
Johannes Paul II. hat in seiner Enzyklika Laborem Exercens die Würde der Arbeit eindringlich betont:
„Die Arbeit ist ein Gut für den Menschen – für sein Menschsein –, weil er durch die Arbeit nicht nur die Natur umwandelt und seinen Bedürfnissen anpaßt, sondern auch sich selbst als Mensch verwirklicht, ja gewissermaßen mehr Mensch wird“ (Nr. 9).
In einer solchen Gesellschaft wäre alles „Dienst am Nächsten“ – nicht aus Zwang oder materieller Notwendigkeit, sondern aus Liebe und im Bewusstsein, am Reich Gottes mitzuwirken. Niemand müsste fürchten, dass die Menschen ihre Verantwortung verweigern. Wer sich als Werkzeug in Gottes Plan versteht, wird seine Aufgabe mit Hingabe und Freude erfüllen. So könnte jede junge Frau und jeder junge Mann frei wählen, wo sie ihre Gaben einsetzen möchten – als Antwort auf ihre persönliche Berufung.
Die Rolle der Technologie
In einer vom gegenseitigen Schenken geprägten Wirtschaft könnten Roboter und künstliche Intelligenz endlich die Rolle übernehmen, für die sie gedacht sind: Sie könnten unangenehme oder anstrengende Arbeiten ausführen, während sich Menschen auf kreative, fürsorgende und schöpferische Tätigkeiten konzentrieren oder ihre Zeit mit der Familie verbringen. Technologie würde nicht länger dem Streben nach Profit dienen, sondern dem Wohl der Gemeinschaft.
Papst Leo XIV. äußerte schon in der ersten Woche seines Pontifikats Bedenken hinsichtlich der rasant fortschreitenden KI-Technologie. In einer vom Profitstreben befreiten Wirtschaft gäbe es keinen Grund mehr, künstliche Intelligenz missbräuchlich einzusetzen – sie könnte ausschließlich den Menschen dienen.
Wenn Arbeitsplätze durch Automaten ersetzt werden, könnten die Betroffenen ihre Talente neu entfalten: in Pflege, Kultur, Bildung oder Gemeinschaftsdiensten. Die Angst vor Arbeitsplatzverlust hätte keine Bedeutung mehr, da die Versorgung aller automatisch gesichert ist.
Der Markt
Kommen wir wieder auf das Selbstverständnis der Volkswirtschaft zurück: Was braucht das Volk, um ein Leben in Würde führen zu können? Diese Frage sollte den Kern jeder Wirtschaft bestimmen.
Ein Markt, der Produkte nur über Werbung und Kaufkraft verteilt, kann den tatsächlichen Bedarf der Menschen nicht erfassen. Heute haben wir jedoch das Internet: Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz wird es möglich, Bedürfnisse direkt wahrzunehmen und die geeignetsten Produzenten zu finden – frei von Manipulation durch Reklame.
Viele behaupten, nur der Markt könne Ressourcen gerecht verteilen. Doch die Wirklichkeit zeigt: Ressourcen fließen dorthin, wo das meiste Geld vorhanden ist. Eine wirklich gerechte Verteilung ist mit dem Markt nicht möglich.
Weil niemand Interesse daran hat, mehr als nötig zu verschenken, nehmen wir uns nur das, was wir für ein Leben in Würde brauchen.
Zugleich wird der Ressourcenbedarf auch sinken, weil die Arbeit frei verfügbar ist und Produkte langlebig und vollständig recycelbar gestaltet werden können. Auch werden die Produkte wieder langlebiger und reparierbar, da es nicht mehr auf Effizienz ankommt. Dies wird die Rohstofflage weiter entspannen und zeigt, dass Gottes Schöpfung mit Weisheit und Bedacht bewahrt werden kann.
Die Menschen aus dem Finanzsystem
Die Beschäftigten aus dann überflüssigen Branchen wie dem Finanzsektor oder den Versicherungen können dort helfen, wo sie ihre Talente einbringen können. Dies wird es ermöglichen, innerhalb weniger Wochen zu einer Zwei- oder Dreitagewoche überzugehen.
Auch ohne Steuereinnahmen bleibt das Funktionieren staatlicher und gesellschaftlicher Strukturen gewährleistet. Menschen, die in Verwaltung, Bildung oder Kultur tätig sind, werden ja wie alle Menschen bedingungslos versorgt.
Auch der Druck, aus Kostengründen Krankenhäuser zu schließen oder soziale Einrichtungen zu vernachlässigen, fiele weg, denn es gäbe ja keine Kosten mehr.
So wird sichtbar: Eine „zivile Wirtschaft“, die auf Schenken und Empfangen gründet, ist nicht nur denkbar, sondern entspricht zutiefst dem Evangelium. Sie ermöglicht den Menschen, Arbeit als Berufung und Nächstenliebe zu leben – und schenkt eine Freude, die im reinen Gelderwerb kaum gefunden wird.
5. Unsere Ängste
Wenn ich diese Idee schildere, höre ich oft: „Der Mensch ist von Natur aus schlecht – wir sind noch nicht reif dafür.“
Doch ist das wirklich so?
In Wahrheit belohnt das heutige Wirtschaftssystem die Gier. Wettbewerb, Gewinnmaximierung und endloses Wachstum machen sie zur Tugend. Wer zufrieden ist, geht unter; wer mehr will, steigt auf. So verwandelt das System eine menschliche Schwäche in eine gesellschaftliche Norm.Read More
Ganz anders ist die Familie: Eine Mutter teilt das letzte Stück Kuchen nicht aus Profit, sondern aus Liebe. Hier gilt das Gesetz der Gabe, nicht des Gewinns.
Es gibt also zweierlei:
- Systemisch geförderte Gier, die uns täglich im Geschäftsleben antrainiert wird,
- und die persönliche Anfälligkeit, die wir als „Erbsünde“ kennen.
Viele sagen: „Wenn der Mensch von Natur aus gierig ist, dann brauchen wir ein System, das diese Gier kanalisiert.“
Das ist die große Selbsttäuschung: Das heutige System verstärkt die Gier – und verweist dann auf sie als Beweis für ihre „Natürlichkeit“.
Die Angst vor der Erbsünde
Die Erbsünde ist nicht ein unausweichlicher Fluch, der uns zwingt, gierig zu sein. Sie ist eine Verwundung, ein Riss in unserer Natur – aber nicht unsere Identität. Durch die Taufe sind wir neue Schöpfung in Christus (2 Kor 5,17). Die Trennung von Gott ist geheilt, auch wenn die Neigung zur Sünde bleibt. In uns wohnt die heiligmachende Gnade – Gottes eigenes Leben.
Darum brauchen wir keine Angst zu haben: Die Gier ist real, aber sie ist nicht stärker als die Gnade.
Wo Menschen beginnen, einander zu beschenken, blüht Geschwisterlichkeit auf. Was in der Familie erfahrbar ist, wird in einer von Liebe geprägten Wirtschaft – in der Benharmonia – die allgemeine Wirklichkeit sein.
Drei Kernthesen gegen die Angst vor der Erbsünde
Die Erbsünde ist nicht unsere Identität.
Der Mensch bleibt Ebenbild Gottes. Die Erbsünde bedeutet Verwundung, nicht Verdammung.
Die Taufe macht uns frei.
Durch Christus sind wir neue Schöpfung. Die Trennung von Gott ist überwunden; in uns wohnt die heiligmachende Gnade.
Die Liebe ist stärker als die Gier.
Wo Menschen aus Geschwisterlichkeit schenken statt zu nehmen, wird die Gnade wirksam – zuerst in der Familie, schließlich in der ganzen Gesellschaft (Benharmonia).
6. Der „Weltweite Tag des Gebens“
Der Übergang zu einer „zivilen“ Wirtschaft kann auf friedliche Weise geschehen: indem die Menschen weltweit gleichzeitig aus der Logik des Geldes aussteigen, indem sie einfach auf den Lohn verzichten. In diesem Moment verlieren die Güter der Schöpfung – durch menschliche Arbeit geformt und zu Gebrauchsgegenständen geworden – ihren künstlichen Geldwert und erhalten ihren wahren Sinn: sie dienen dem Leben.
Jeder Mensch könnte sich dann frei nehmen, was er braucht, um in Würde zu leben.Read More
Diese Umstellung könnte durch einen „Weltweiten Tag des Gebens“ umgesetzt werden. An diesem Tag würden die Menschen wie gewohnt weiterarbeiten – aber von diesem Tag an auf ihren Lohn verzichten. Es ginge nicht um Verlust, sondern um eine neue Freiheit: die Arbeit nicht mehr als Ware zu begreifen, sondern als Geschenk füreinander. Denn Rohstoffe und Energie sind bereits Geschenke Gottes. Wir müssten sie nur in Dankbarkeit nutzen und miteinander teilen.
Warum muss dies unmittelbar und weltweit gleichzeitig geschehen – nicht schrittweise? Nur so kann sichergestellt werden, dass Rohstoffe, Produkte und Dienstleistungen überall gleichzeitig frei verfügbar sind.
Ein kirchliches Hochfest wie Ostern, Pfingsten oder Weihnachten könnte diesem Tag eine tiefe symbolische Prägung geben. Die Botschaft Jesu – „Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben“ (Mt 10,8) – würde in einem weltweiten Akt der Nächstenliebe und Geschwisterlichkeit Gestalt annehmen.
Hier kommt der Kirche eine besondere Rolle zu: durch ihre weltweite Struktur, ihre moralische Autorität und ihre spirituelle Begleitung. Sie könnte den „Weltweiten Tag des Gebens“ zu einem Fest des Glaubens und der Hoffnung machen.
Man könnte es vergleichen mit der weihnachtlichen Bescherung: Der Moment, in dem die Mühen der Vorbereitung vergessen sind und die Freude des Schenkens alles überstrahlt. So könnte auch die Menschheit eintreten in eine Ordnung, die nicht von Konkurrenz und Geld geprägt ist, sondern von Dankbarkeit und Geschwisterlichkeit.
Niemand wird den Lohn vermissen, wenn es im Alltag nichts mehr zu bezahlen gibt. Der „Tag des Gebens“ bedeutet keine Enteignung, keine erzwungene Vergesellschaftung. Im Gegenteil: Eigentum bleibt bestehen, verliert aber seine Funktion als Quelle des Geldes und wird neu verstanden – als Dienst am Leben aller.
Auch die Reichen und Unternehmer werden wie alle Menschen Zugang zu allem haben, was sie benötigen. Sie werden erfahren, dass wahrer Reichtum nicht im Besitz von Luxusgütern oder Statussymbolen liegt, sondern in der Freude am Geben. „Geben ist seliger als Nehmen“ (Apg 20,35) – diese Wahrheit könnte neu erfahrbar werden.
In der heutigen Ordnung sind Reichtum und Macht oft eng miteinander verknüpft. In der neuen Gesellschaft wird es viele Möglichkeiten geben, Führungsrollen einzunehmen – jedoch nicht im Sinne von Machtausübung oder Kontrolle, sondern als Dienst an der Gemeinschaft. Führungskräfte werden dann geschätzt für ihre Fähigkeit, andere zu inspirieren, Gaben zu fördern und die Bedürfnisse aller im Blick zu behalten. Leitung wird zur Aufgabe der Verantwortung und der Geschwisterlichkeit – ganz im Sinne des Wortes Jesu: „So werden die Letzten die Ersten sein“ (Mt 20,16).
Das Besondere an diesem Übergang ist seine Einfachheit: Es braucht keine technischen Vorbereitungen, keine komplizierten Umstellungen. Die wirtschaftliche Struktur bleibt zunächst bestehen, Liefer- und Arbeitsverträge sichern den Warenfluss wie bisher – nur die Zahlungen entfallen. Den Gütern ist es gleichgültig, ob sie durch bezahlte oder freiwillige Arbeit entstanden sind.
Die plötzliche Freude über die empfangenen Gaben würde der Gesellschaft Stabilität schenken. So könnte der „Weltweite Tag des Gebens“ zu einem wahren Pfingstereignis der Menschheit werden: ein Aufbruch in eine neue Zeit, getragen vom Geist Gottes und der Kraft der Geschwisterlichkeit.
7. Das Reich Gottes auf Erden
In einer solchen Gesellschaft würden die Menschen miteinander leben wie Schwestern und Brüder, wie in einer großen Familie. Diese Gesellschaft könnte so sein, wie wir uns das Reich Gottes auf Erden vorstellen – eine Welt, in der die Werte des Evangeliums Wirklichkeit werden.
Es wäre eine Welt, in der die Menschen nicht mehr von materiellen Zwängen beherrscht werden, sondern in Freiheit und Würde leben können. Alle Menschen hätten Zugang zu allem, was sie für ein würdevolles Leben benötigen und die Ausbeutung natürlicher Ressourcen würde beendet werden.Read More
In dieser Gesellschaft könnte Jesus Christus wirklich unter uns sein. Reicht unser Glaube nicht so weit, uns vorzustellen, dass Gott dafür sorgen würde, dass diese Form des gegenseitigen Gebens, dauerhaft funktionieren würde?
Diese Vision ist keine Utopie, sondern ein praktischer Ausdruck der christlichen Botschaft von Nächstenliebe, Gerechtigkeit und Geschwisterlichkeit. Sie lädt uns ein, das Reich Gottes nicht nur zu verkünden, sondern es auch konkret werden zu lassen – hier und jetzt.
8. Epilog: Ein Aufruf zum Handeln
Die Welt steht am Abgrund. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Die Kirche besitzt die moralische Autorität und die weltweite Reichweite, um den notwendigen Wandel einzuleiten. Sie kann die Vision einer „zivilen Wirtschaft“ und den „Weltweiten Tag des Gebens“ in Predigten, Schriften und Medien verkünden – und die Gläubigen aufrufen, sich an diesem historischen Übergang zu beteiligen, damit niemand zurückgelassen wird.Read More
Ein Blick zurück zeigt uns, was möglich ist: Während des ersten Covid-19-Lockdowns im März 2020 erlebte die Welt innerhalb weniger Tage trotz starker Restriktionen eine neue Form von Geschwisterlichkeit und Hilfsbereitschaft. Menschen sangen und beteten von Balkonen, sie spendeten Beifall für Ärztinnen, Pfleger und viele andere Helfende. Große Wirtschaftszweige kamen zum Stillstand – und dennoch war die Versorgung der Bevölkerung gesichert. Inmitten der Angst zeigte sich: Gemeinschaft trägt.
In einer Welt der Benharmonia gäbe es diese Angst nicht mehr. Denn wenn alle Menschen bedingungslos versorgt sind, verlieren Sorgen um den Lebensunterhalt ihre Macht.
Die Kirche hat die Chance, eine führende Rolle zu übernehmen: Sie kann Hoffnung schenken, Orientierung geben und Menschen zu Geschwisterlichkeit, Gerechtigkeit und Nächstenliebe ermutigen.
Die Vision einer „zivilen“ Wirtschaft ist keine ferne Utopie, sondern ein notwendiger Schritt zu einer sicheren, gerechten und friedlichen Zukunft.
Möge der Heilige Geist uns die Kraft und den Mut schenken, diesen Weg zu gehen – den Weg, der uns näher zu Gott und zueinander führt.
Amen.
Berlin, den 01.10.2025
Eberhard Licht
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